Wiebke Tiedeken: So, wir stehen hier vor einer Tafel, die an die Zugverbindung zwischen Ihrhove und Westrhauderfehn erinnern soll. Die Eröffnung der Kleinbahnverbindung zwischen den beiden Ortschaften war für die Bevölkerung so bedeutend, dass sie am 03. November 1912 mit einem großen Fest gefeiert wurde.

Hanna: Echt, zwischen Ihrhove und Westrhauderfehn liegen doch höchsten 12 Kilometer. So bedeutend klingt das auf dem ersten Blick nicht!

Wiebke Tiedeken: Aber nur auf den ersten Blick, Hanna. Du darfst bei deiner Überlegung nicht vergessen, dass mit der Anbindung der Region an das öffentliche Eisenbahnnetz die Grundlage für die künftige wirtschaftliche Entwicklung geschaffen und gleichzeitig ein Strukturwandel auf dem Fehn eingeleitet wurde. - Der Zug, der übrigens von einer Dampflokomotive gezogen wurde, benötigte eine halbe Stunde für die Bewältigung der gut 11 Kilometer langen Strecke, die von Ihrhove über Ihren, Glansdorf und Rhaude-Marienheil nach Westrhauderfehn führte.

Maren: Du hast von einem Strukturwandel gesprochen. Mir leuchtet es nicht ein, wie ein derartig langsamer Zug in einer Region für einen Strukturwandel verantwortlich sein soll.

Wiebke Tiedeken: Ich habe zu Beginn unserer Tour kurz angedeutet, welche Auswirkungen die Kleinbahn für die Schifffahrt hatte, als ich über die ehemalige Navigationsschule gesprochen habe. Der von mir angesprochene Strukturwandel wurde durch die Bahn begünstigt, indem der Transport von Fahrgästen und Waren mit der Kleinbahn schneller, zuverlässiger, vom Wetter weitgehend unabhängig und vor allem preisgünstiger realisiert werden konnte. Damit verlor natürlich die Binnenschifffahrt ihre Spitzenposition, die sie bis dahin eingenommen hatte.

Laura 2: Wenn die Kleinbahn so wichtig für die Region gewesen ist, können wir da bestimmt einmal mitfahren?

Birte: Ich denke nicht, dass man da noch mitfahren kann oder hast du auf der Tour irgendwo einen Bahnhof oder zumindest Schienen gesehen.

Wiebke Tiedeken: Leider ist die Bahn schon lange nicht mehr in Betrieb. Der Personenverkehr auf der Schiene endete bereits 1961, der Güterverkehr wurde noch bis 1973 aufrechterhalten, stellte dann aber ebenfalls den Transport ein.

Laura: Wenn die Kleinbahn für die wirtschaftliche Entwicklung so vorteilhaft gewesen ist, warum wurde ihr Betrieb dann überhaupt eingestellt?

Maren: Ja, genau! Die wäre doch heute eine unglaubliche Touristenattraktion.

Wiebke Tiedeken: Da habt ihr nicht unrecht. Und ich bin sicher, dass sich schon einige Menschen in der Umgebung die gleiche Frage gestellt haben.

Jule: Eine Fahrt mit der Kleinbahn wäre auch viel besser für deine Schuhe, Birthe.

Birthe: Die kann ich nach diesem Marathon eh wegschmeißen.

Laura 2: Tja, wir haben dir gesagt, dass du dir flache Schuhe anziehen sollst, aber du hast mal wieder nicht zugehört, wie immer.

Laura: Leute, beruhigt euch mal! Wie könnt ihr euch denn jetzt über Birthes Schuhe streiten? Ich möchte das hören, warum der Kleinbahn der Dampf ausgegangen ist.

Wiebke Tiedeken: Okay, die Kleinbahngesellschaft setzte ab etwa 1930 zur Ergänzung der Zugverbindung auch Busse auf ihrer Stammstrecke ein. Anfang des II. Weltkrieges fuhren die Busse und Züge zunächst uneingeschränkt weiter, bis im Jahre 1941 der Busbetrieb verboten wurde.

Hanna: Was soll das heißen? Fuhren dann weder der Zug noch die Busse?

Wiebke Tiedeken: Doch es fuhren noch Busse, allerdings nur, um die Arbeitskräfte zu den „kriegswichtigen“ Produktionsstätten zu bringen, vor allem auf der Teilstrecke nach Strücklingen.

Jule: Und was ist mit den Zügen passiert? Wurden die Fahrten auch komplett eingestellt?

Wiebke Tiedeken: Der Zugverkehr wurde durch Treibstoffmangel während des Krieges immer weiter eingeschränkt und als die Front bis ins Oberledingerland zurückgeschoben wurde, zerstörte man teilweise die Bahnanlagen. Aber bereits fünf Monate nach Kriegsende nahm die Kleinbahn den Zugverkehr wieder auf und ihr könnt euch vorstellen, dass der Bedarf riesig war.

Birte: Wie viele Gäste sind da immer mitgefahren?

Wiebke Tiedeken: Die altersschwachen Züge konnten nur begrenzt eingesetzt werden, haben aber trotzdem jährlich etwa 400000 Fahrgäste mitgenommen, die teilweise auf den Trittbrettern stehen mussten.

Laura: Voll krass!

Wiebke Tiedeken: In dem Zusammenhang möchte ich euch, bevor wir weitergehen, noch eine Anekdote erzählen, die überliefert ist. Als nach dem Krieg ein aufgeregter Fahrgast, der es augenscheinlich sehr eilig hatte, den Lokomotivführer fragte, ob er nicht schneller fahren könnte, antwortete dieser: „Ich schon, aber ich muss auf der Lokomotive bleiben“! (alle lachen) Um deine Frage abschließend zu beantworten, Laura, kann man sagen, dass die Kleinbahn auf Dauer nicht mit der Konkurrenz der Straße mithalten konnte.

Hanna: Kommt mir irgendwie bekannt vor! In diesem Sinne - lasst uns zur nächsten Station gehen!